Freitag, 1. Februar 2019

Alain Finkielkraut: «Macron bezahlt jetzt den Preis für seinen Sieg»

nzz.ch: Auch nach über zwei Monaten und erheblichen Konzessionen wollen die «gilets jaunes» nicht von der Bühne abtreten. Der Philosoph Alain Finkielkraut sieht in ihrer Präsenz ein Resultat der zerschlagenen Parteistrukturen – und der zunehmenden Macht sozialer Netzwerke.
Nicht die Reform hat die Wut hervorgebracht, sondern der Umstand, dass sich ein Teil der Bevölkerung vergessen oder gar verachtet fühlt. Die untere Mittelschicht der «France périphérique» gehört einerseits zu den Globalisierungsverlierern, andererseits ist sie aber nicht so arm, dass sie von den Sozialgeldern des Staats profitieren würde. Die angekündigte Treibstoffsteuer war für diese aufs Auto angewiesenen Leute gewissermassen der Topfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Die vergessene Schicht zog eine gelbe Weste an, um sich sichtbar zu machen.
Ich halte die Grundbotschaft dieser Menschen für sehr wichtig. Sie sagten dem Präsidenten: Unser Land ist nicht einfach ein grosses globales Startup, es gibt hier auch eine ältere Welt, und mit der müsst ihr rechnen. Zu Beginn haben die «gilets jaunes» ihre Würde eingeklagt. Und auf völlig überraschende Weise hat sich dabei ein Teil der Bevölkerung zusammengetan, der zuvor weder in Gewerkschaften noch sonst wie organisiert gewesen war. Das war ein Moment der politischen Kreativität, und in diesem Zusammenhang fand ich es auch berührend und vielsagend, dass sich die Gelbwesten auf Kreiseln versammelten: Auf den Kreiseln kommen die Verkehrsflüsse zusammen, sie sind damit quasi eine moderne Form der alten Plätze, und durch die Proteste wurden sie zu echten Agoren oder Foren.

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